16. Dezember

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Opa Erwins Verschwinden

Von Maya Pinsel
Gesprochen von Pia Fruth

»Ja?«, krächze ich besorgt ins Telefon. Alle Alarmglocken klingeln und mein Gehirn denkt in Fragmenten: Altenheim, Unfall, Ausnahmezustand! 
Bitte lass ihn leben oder nicht wieder von einem Mist zum nächsten gestiefelt sein. 
»Sophie …!«, stöhnt Schwester Karin in den Lautsprecher und ich unterbreche sie augenblicklich.
»Was hat er angestellt?«
»Liebes, er ist abgehauen. Ich finde ihn nicht mehr und wir sind unterbesetzt.«
»Ich bin sofort da.«
Nach dem Auflegen schaue ich kurz an mir herunter. Meine Jogginghose und der XXL-Pullover von Tim haben die besten Tage hinter sich. Die Sachen müssen gewechselt werden, so wie Tim mich vor drei Wochen ausgewechselt hat. 
Schnell schlüpfe ich in Jeans und Strickpullover mit Sumpfröschen-Aufdruck und zwinge mich in die dicken Winterstiefel. So kann ich los und sehe nicht mehr wie die trauernde Ex mit Schokoladenflecken auf der Kleidung aus.
Zwanzig Minuten später parke ich meinen Fiat 500 vor dem Altenheim. Dieser alte Stinkstiefel setzt auch immer seinen Kopf durch. Keine Ahnung, warum ich ihn lieb habe, aber ich bin die Einzige aus der Familie, die sich überhaupt um ihn schert. 
Karin hat mich entdeckt und winkt mir völlig irre von der Eingangstür zu. 
»Warum hast du keine Jacke an? Du holst dir noch den Tod«, rufe ich ihr zu und sehe sie belustigt abwinken. 
»Schnellfassung!«, keucht sie und ich schaue ihr ins Gesicht.
»Dann leg los!«
»Dein Opa hat mit Hannes Schach gespielt und der Student hat ihn zum ersten Mal besiegt. Bei Herrn Wolf ging die Klingel und Hannes ist ins Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Als er zurückkam, war Erwin weg.«
»Wann war das?«
»Vor dreißig Minuten.«
»Wo ist dieser Hannes?«, frage ich, weil er sicher mehr Infos hat als Karin.
»Warte, ich hole ihn.«
Wie eine Dampflok rast sie davon und ich schüttele den Kopf. 
Anstatt die letzten Geschenke für das Weihnachtsfest zu besorgen, stehe ich hier vor dem Altenheim, friere mir den Arsch ab und warte auf diesen Mann, der meinen Opa verloren hat.
Wie Karin abgedampft ist, kommt sie mit dem ominösen Hannes walzenartig zurückgerollt. Der Griff um seinen Arm sieht schmerzhaft aus. Hoffentlich pflegt sie die Menschen nicht, wie sie Kerle am Schlafittchen packt. 
»Hier! Er kümmert sich jetzt selbst um seine Unaufmerksamkeit«, faucht sie und dampft erhobenen Hauptes ab. 
»Äh, hi«, flüstert er leise, reicht mir seine Hand und hebt den Blick.
Blaue endlose Tiefen sehen durch mich hindurch und ich halte den Atem an. Er lässt mich nicht los und ich fühle seine warme Hand an meiner eisigen. Was arbeiten denn hier bitte für Schnuckel? 
»Hi, ich bin Sophie«, würge ich hervor und lächele ihn vorsichtig an.
»Hannes!«, erwidert er schüchtern. »Hör zu, es tut mir leid, dass Karin so einen Aufstand macht und dich herbestellt hat. Ich bin mir sicher, dass Erwin nicht abgehauen ist. Er war richtig sauer, dass ich ihn besiegt habe und vertritt sich vermutlich entweder die Wut, ist im Keller oder denkt sich etwas Gemeines für mich aus.« Grinsend sieht er mich an und ich stimme in seine Mimik ein. Das wäre typisch für Opa. Er ist der geborene Gewinner. Womöglich denkt er sogar, dass das Spiel gezinkt war.
Unsere Blicke treffen sich erneut und ich versinke in seinem Augenmeer.
»Hannes, du kleiner dreckiger Betrüger. Ich habe ein anderes Spiel gefunden. Jetzt steht die Revanche an«, höre ich eine Stimme vom Ende des Flures rufen und erblicke meinen Opa.
»Gott sei Dank!«, flüstert Hannes und ich nicke bestätigend.
»Bleibst du noch als Zuschauerin für eine Partie?«, fragt er und ich antworte mit einem breiten Lächeln.