18. Dezember

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Schnee der auf Zedern fällt

Von Angelina Lagodny
Gesprochen von Lisa Cardinale

Dicke Schneeflocken rieselten federleicht vom Himmel, tauchten den kleinen Ort St. Aurel in ein prächtiges Weiß. Lucy folgte den Fußspuren der Menschen, deren Stiefel tiefe Spuren auf der noch frischen Schneeschicht hinterlassen hatten. Ihre kleine, schwarze Hundenase zu Boden gesenkt, die Ohren gespitzt. Noch immer suchte sie nach ihren Menschen, nach ihrer Familie. Die Menschen, bei denen sie fast ihr ganzes Hundeleben verbracht und die nun beschlossen hatten, die betagte Hundedame in dem kleinen Skiort zurückzulassen. Allein. Hungernd. Frierend. Ängstlich. Schon viele Stunden irrte sie in der belebten Einkaufsstraße herum, doch niemand nahm Notiz von ihr. Der Duft von süßer Zuckerwatte, heißer Schokolade und gebrannten Mandeln hing in der Luft. Hektisch eilten die Menschen an ihr vorbei, betraten die Läden und verließen sie wieder. Sie erledigten die letzten Einkäufe, bevor die Geschäfte an diesem Heiligen Abend schließen würden. Direkt neben Lucy wurde eine Tür aufgerissen und ein kleines Mädchen betrat die Straße. Sie hielt eine riesige rot-weiß gestreifte Zuckerstange in der Hand, die sie mit großen Augen betrachtete. Lucy blickte schwanzwedelnd zu ihr hoch, doch das blonde Mädchen beachtete sie nicht. Hinter ihr hatte eine Frau in einem flauschigen, weißen Wintermantel den Süßigkeitenladen verlassen, griff mit ihren Fäustlingen nach der Hand ihrer Tochter und zerrte sie mit sich. 
»Komm Celine. Wir sind spät dran«, betonte sie und schleppte das Mädchen weiter hinter sich her. Lucy folgte den beiden bis zum Ende der Straße, bis sie ihre Schatten im dichten Schneegestöber aus den Augen verlor. Nicht einen einzigen Augenblick lang hatten sie der frierenden Hündin ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Ganz so, als würde sie gar nicht existieren.
Als die Straßen allmählich leerer wurden und helles Glockengeläut aus der barocken Kirche den Ort erfüllte, irrte Lucy noch immer durch die Straßen. Sie fror entsetzlich, wusste nicht, wo sie die Nacht verbringen sollte, geschweige denn, ob sie ihre Menschen jemals wiedersehen würde. Völlig entkräftet ließ die Hündin sich auf der eisigen Steintreppe eines kleinen Hauses nieder, kauerte sich direkt vor die Holztüre und schloss ihre müden Augen. Sie winselte leise vor Kälte. Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Türe. Jemand im Inneren des Hauses musste die Hündin durch die weihnachtlich geschmückten Fenster beobachtet haben. Lucy hob ihren Kopf und blickte in die blauen Augen einer alten Dame.
»Du bist ja völlig durchgefroren!«, sagte sie erschrocken. Ein feiner, glitzernder Tränenschleier bildete sich in ihren Augen. Es zerriss ihr das Herz, denn wer konnte so ein armes, hilfloses Wesen einfach seinem Schicksal überlassen? Lucy erhob sich, spürte die wohlige Wärme des Hauses, das sie dankbar betrat. Die alte Dame strich der Hündin sanft durchs Fell und gab ihr mit dieser zarten Geste zu verstehen, dass sie nun hierhergehörte. In dieses Haus. Zu ihr. In ihr Leben. Ein Gefühl von Geborgenheit erfüllte Lucys Herz. Sie ließ sich auf einem der weichen Kissen nieder, die vor dem Kamin lagen, seufzte leise und blickte hinaus in die weiße Winterlandschaft des Gartens, während der Schnee still und leise auf die Zedern fiel.