24. Dezember
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Glas und Glück
Von Katharina Gerlach
Gesprochen von Uta Simone
Advent, die geschäftigste Zeit des Jahres. Nach einem anstrengenden Tag, an dem ich Regale gefüllt und hektische Kunden bei Laune gehalten hatte, fuhr ich viel zu spät nach Hause. Die Schmerzen in meinen Füßen ignorierte ich.
Trotzdem flossen die Tränen, denn mein Baby, meine süße Emily, schlief längst. Ich sehnte mich danach, ihre warmen Ärmchen um meinen Hals zu spüren, ihre energische Stimme zu hören und den Geruch von Babyshampoo zu atmen. Aber es sollte nicht sein. Zumindest nicht für die nächsten Wochen.
Ich bog zur Farm meiner Eltern ab und freute mich aufs Bett. Wenigstens konnte ich da Emilys Atem lauschen. Die lange Auffahrt an abgeernteten Feldern und Kuhweiden vorbei brauchte dringend neuen Schotter. Ich fuhr Schritttempo.
Nur hundert Meter vor mir tauchten Lichter auf. Illegale Camper? Ich hielt an, ließ das Auto stehen und ging zu Fuß.
Kein Mensch in Sicht, nur ein einsamer Weihnachtsbaum in der Mitte unserer Wiese. Er war mit goldenen Papierketten, leise klirrenden Glasornamenten, Strohsternen und Süßigkeiten geschmückt. An den Zweigen brannten echte Kerzen, die Gerüche vergangener Weihnachtsfeste verströmten: Vanille und Hefe, Tannenzweige, Orangen und heißer Kakao.
Der Duft und der Baum drängten mich, eine der Glaskugeln zu berühren. Ich sah sie genauer an. Es waren viele, und in allen spiegelte sich mein Gesicht. Meistens wirkte ich erschöpft und viel älter als ich war. In einigen trug ich blaue Flecken und mein Ex grinste im Hintergrund. Es gab nur wenige, in denen ich Emily hielt, und auf den meisten davon ähnelte ich einem Zombie.
Es gab nur eines, auf dem ich glücklich einen Weihnachtsbaum ansah, Emily im Arm und meine Eltern an meiner Seite. Ohne mein Zutun nahm meine Hand die Glaskugel vom Ast.
Der Baum verschwand.
Ich stand in der Dunkelheit, das Gehirn gedankenleer, und starrte auf die Kugel in meiner Hand.
Schließlich kehrte ich mit dem einzigen Beweis für die Existenz des Weihnachtsbaums zum Auto zurück und fuhr wie in Trance heim.
Das Haus brauchte eigentlich eine Isolierung und einen neuen Anstrich, aber wir kamen kaum über die Runden, egal wie hart wir alle arbeiteten.
Als ich die altmodische Küche betrat, die von der liebenden Wärme meiner Familie erfüllt war, stand Momma weinend an der abgewetzten Spüle. Papa starrte auf einen amtlich aussehenden Brief und Emily kam zu mir gerannt. Sie umarmte mich wortlos und ich legte meine freie Hand auf ihren Rücken. Warum war sie noch nicht im Bett?
„Räumungsbefehl.“ Papa sprach so leise wie nie zuvor. „Das wird unser letztes Weihnachtsfest in unserem Haus.“
Mein Herz verkrampfte.
Der Glasschmuck entglitt meinen Fingern.
Er löste sich auf, bevor er zersplitterte. Dichter Nebel hüllte uns ein und machte es unmöglich, die anderen zu sehen, aber ich konnte sie atmen hören. Emily klammerte sich immer noch an mich.
Als sich der Nebel lichtete, hatte sich die Küche verändert. Statt abgenutzter Schränke mit schiefen Türen umgaben uns jetzt Echtholzmöbel und modernste Küchengeräte.
Momma stellte einen Topf mit Suppe auf den Tisch und lächelte. „Du musst hungrig sein, Schatz.“
Der Duft von Kürbis und Kartoffeln ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Grinsend hielt Papa ein Bild hoch. „Sieh mal, was Emily gemalt hat. Sie hat darauf bestanden, dass keine Menschen darauf sein dürfen.“
Das Bild zeigte einen Weihnachtsbaum in der Mitte unserer Wiese.