6. Dezember
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Wendungen
Von Nadine Engel
Gesprochen von Uta Simone
Vor etwa einem Jahr hatte ich alles verloren. Meine Frau, Geld, das Dach über dem Kopf, jegliche Perspektive. Nur meinen Stolz nicht. Ich stand vor einem Trümmerhaufen, der sich mein Leben nannte. Doch Hilfe annehmen, konnte ich nicht. Seitdem lebte ich auf der Straße. Wurde zu jenen Gestalten, die man kaum wahrnahm.
Kurz vor den Feiertagen wurden alle sentimental und spendabel. So wunderte es mich zunächst nicht, als eine junge Frau vor mir stehen blieb.
„Ganz schön kalt hier draußen!“ Trotz der freundlichen Stimme nervten mich ihre Worte sofort.
„Lässt sich im Winter nicht vermeiden!“, entgegnete ich gereizt. Fakten brauchte mir niemand aufzuzählen. Da sie mir einen warmen Becher in die Hand drückte, besserte sich meine Laune allerdings schlagartig. Dankbar pustete ich auf das dampfende Getränk. Genoss die Wärme, die sich mit jedem Schluck in mir ausbreitete.
„Warum sitzen Sie lieber hier, als in eine Einrichtung zu gehen?“, fragte sie.
„Alles im Leben ist an eine Bedingung geknüpft. Da mache ich nicht mehr mit!“ Misstrauisch musterte ich sie.
„Ich sehe schon, da habe ich einen wunden Punkt getroffen!“
„Bin ich ein solch offenes Buch?“
„Für jemanden, der genau hinschaut, schon.“
Die Situation war eigenartig, eine junge Frau, die mit einem Obdachlosen über Belangloses sprach, als sei es das Normalste der Welt.
„Vielleicht wäre es sinnvoll den eigenen Stolz beiseitezuschieben und heute Abend zu einer Obdachlosenunterkunft zu gehen.“
„Ich komme klar!“ Was kann schon jemand wissen, der nicht in dieser Situation steckte? Nichts.
„Davon bin ich überzeugt. Aber in der Nähe hat eine Notunterkunft geöffnet. Wer weiß, was für neue Wendungen dabei entstehen können. Versuch es!“ Ehe ich etwas erwidern konnte, ging sie weiter.
Spät abends fühlte es sich an, als würde sogar die Hölle gefrieren. Obwohl sich alles in mir sträubte, musste ich an die Worte der Frau denken. Um mich warmzuhalten, spazierte ich durch die Straßen. Plötzlich befand ich mich vor der erwähnten Unterkunft.
Ich beobachtete das Treiben, bis ich eine ganz besondere Stimme vernahm.
„Endlich! Nach all der Zeit finde ich dich!“ Sofort fiel mir jemand um den Hals. Ungläubig schälte ich mich aus der Umarmung und starrte in die allzu vertrauten Augen meiner Exfrau.
„Was machst du denn hier?“ Ich konnte es nicht glauben, dass Carmen vor mir stand.
„Dich suchen!“ Ihren Worten verlieh sie einen festen Nachdruck.
„Warum? Du wolltest die Scheidung!“
„Verstehst du es immer noch nicht? Die wollte ich nur, weil dir dein Job wichtiger war als ich. Dann habe ich von deiner Pleite gehört und wollte eine zweite Chance für uns. Ein Job ist nicht alles im Leben! Ich hatte gehofft, dass du das erkannt hast und zur Besinnung kommst.“
Das hatte ich in dem letzten Jahr gemerkt und die Zeit davor vermisst. Konnte ich zurück in mein altes Leben? Ohne den Job, der mich aufgefressen hatte? Um die Information zu verarbeiten, schaute ich über Carmens Schulter hinweg, zur anderen Straßenseite. Da stand die junge Frau vom Mittag und lächelte mich wissend an. Eine Wendung hatte sie mir versprochen, hier war sie.