9. Dezember

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Der Nebelprinz

Von Maria Arato
Gesprochen von Nightingale

Klaras Knöchel berührten das nasse Gras. Ihre Lungen füllten sich mit frischer Waldluft. Sie war im Land des Nebels angekommen. Rechts vernahm sie das Rauschen eines kleinen unterirdischen Flusses, der sich zwischen den Grashügeln runter zum Dorf schlängelte. Links lag der schwarze Wald mit seinen uralten Bäumen, die weit ins Himmelszelt ragten. Sie folgte dem Fluss und stand bald vor der Hütte der Heilerin. Die Heilerin freute sich immer über ihren Besuch und erzählte ihr Geschichten aus alter Zeit, als Elfen noch unter Menschen weilten. 
An der Tür angekommen, klopfte sie dreimal. Es vergingen einige Augenblicke, aber nichts regte sich. Also klopfte Klara erneut an die Tür, diesmal etwas kräftiger.
Die Tür sprang mit einem lauten Knarren auf. Nicht abgeschlossen. Aber warum? Vorsichtig schob sie die Tür auf und spähte hinein. Auf dem Boden lagen die normalerweise fein säuberlich sortierten Kräuter wild durcheinander verstreut, einige der Glasbehälter mit Gewürzen waren zerbrochen. Mit klopfendem Herzen trat Klara auf Scherben, als sie ihren Fuß über die Schwelle setzte.
Was ist hier bloß vorgefallen?
Die Heilerin war nicht im Haus und wie es die Verwüstung nahelegte, musste hier etwas Furchtbares passiert sein. Als ob jemand das ganze Zimmer durchgeschüttelt hätte. Klara konnte sich nicht länger zurückhalten, sie stürmte in die Küche, öffnete die Luke zum Vorratskeller, schaute sich alle herumliegenden Gegenstände an, aber nichts konnte ihr Informationen darüber liefern, wohin ihre Freundin verschwunden war. Sie setzte sich resigniert hin und dachte nach, was sie als nächstes tun sollte. Zuhause würde sie wahrscheinlich die Polizei rufen, aber hier? Wer war hier für die Sicherheit zuständig?
Natürlich. Wie konnte sie das vergessen. Der Prinz persönlich.
Sie musste zum Schloss. Zu Fuß würde der Weg ewig dauern und so lange konnte sie ihre Freundin nicht warten lassen. 
Sie legte zwei Finger an den Mund und pfiff laut. Kaum hatte sie das getan, hörte sie schon einen Hufschlag und wenige Augenblicke später zeigte sich ein Rappe. Dieses wunderschöne Tier war frei, hatte sich aber mit Klara angefreundet und kam immer dann, wenn sie ihn brauchte, angelaufen. Sie zog sich an seiner wilden Mähne hoch und flüsterte ihm das Ziel ihrer Reise leise ins Ohr. Gemeinsam ritten sie zum Schloss.
Am Waldrand, unter dem Schutz der letzten Bäume, brachte Klara das Pferd zum Stehen, sie waren nicht allein. Das Torgitter war verschlossen und ein Wächter bewachte den Eingang. Das könnte interessant werden. Sie musste sich etwas einfallen lassen, um hinter das Tor zu kommen. Ein Blick in die Augen reichte, schon verstand der Hengst, was zu tun war. Klara schlich sich zum Wächterhäuschen und versteckte sich davor. Dann gab sie Shadow ein Zeichen, er wieherte und wirbelte eine Staubwolke auf, sodass der Wächter darauf aufmerksam wurde und sich von seinem Posten entfernte, um nachzusehen, was los war. Sogleich kam Klara aus ihrem Versteck und schlüpfte unbemerkt durch die kleine Wächtertür hindurch.
Mitternacht. Es ist schon so spät geworden.
Der Prinz bewohnte das oberste Zimmer, sie musste nur Ausschau nach dem Turm halten.
Da ist er ja! Nichts wie hin! 
Oben angekommen, musste sie eine Verschnaufpause einlegen. Sie setzte sich auf die letzte Stufe der Treppe und atmete tief durch. Wie sie da saß und ziemlich laut vor sich hin atmete, ging hinter ihr die Tür zum Gemach auf.
»Wer sind Sie, junge Frau?«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Klara schoss hoch und fuhr herum. Der Prinz persönlich stand vor ihr.
»Prinz, Ihr seid es…verzeiht mir meinen Besuch zu einer so späten Stunde. Ich benötige dringend Eure Hilfe.«
Der Prinz trug einen bodenlangen, mit goldenen Ornamenten bestickten Kaftan. Er schaute besorgt: »Ich kenne Sie nicht. Aber sprecht: Womit kann ich dienen?«
Klara war froh ihn zu sehen und fing sofort an zu erzählen. Am Ende der Geschichte kamen ihre Vermutungen:
»Was, wenn ein Troll aus dem Wald eingebrochen war und die Heilerin in seine Höhle verschleppt hatte? Oder wenn ein Magier aus dem Elfenwald bei ihr war, sie sich gestritten hatten und er sie verwandelt hat? Oder, was am schlimmsten wäre, wenn das Nebelmonster gekommen ist…«, Klara konnte gar nicht mehr damit aufhören.
Der Prinz kam bei ihren letzten Worten näher und nahm ihre Hand. »Es ist gut, dass Sie mich aufgesucht haben. Wir können gleich aufbrechen und Ihre Freundin suchen, sagen Sie mir nur, sollen wir noch auf andere warten, die zu uns stoßen?«, fragte er. 
Klara dachte kurz nach und entgegnete: »Nein, niemand wird kommen.«
Der Prinz nickte und sagte: »Gut. Ich mache mich gleich fertig und wir reiten gemeinsam los. Warten Sie im Garten auf mich.«
Klara gehorchte und ging runter.
Schöner Garten. Wie es nach Rosen riecht. Nanu… Nebel? Wo kommt der denn plötzlich her?
Dichter Nebel sammelte sich um sie herum und plötzlich wurde es ganz hell. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und der ganze Garten erstrahlte im wunderschönen weißen Licht. Klara wandte den Blick vom Himmel ab, sah zum Garteneingang und erstarrte…
Eine haarige wolfsähnliche Bestie stand da. Sie riss das Maul auf, bleckte die Zähne und starrte sie an. Klara wich instinktiv zurück und erbleichte. Die Bestie hatte seine Augenfarbe. »P…P….Prinz?«, brachte sie hervor. 
»Na wer denn sonst?«, brüllte die Bestie zurück.
Klara stieß einen Schrei aus und rannte so schnell sie nur konnte los.
Deshalb heißt er also Nebelprinz! Er ist das Monster. Dann hat er die Heilerin gefressen?
Klara rannte weiter und immer schneller, solange ihre Beine sie trugen.
Rechts abbiegen, dann links, nein, es war nochmal rechts, und dann…Sie stolperte über ihre eigenen Beine, rollte über den Boden 
und wachte in ihrem Zimmer auf. Erleichtert atmete sie durch und machte ihre Nachttischlampe an. Auf dem Boden lag das Buch Das Land des Nebels, aufgeschlagen auf dem Kapitel der Heilerin. Aber das Bild war nicht mehr da. Ausgerissen. Klara hörte ein Schnarchen aus der hinteren Ecke ihres Zimmers. Sie stand auf, um nachzusehen. Auf dem Sofa lag friedlich schlafend ihre kleine französische Bulldogge. Unter ihr die zerfledderte und angeknabberte Buchseite der Heilerin. Klara schmunzelte und ging wieder schlafen.